Info über den Bolognaprozess
Überblick Bologna
Entstehung und Funktionsweise:
Der Bologna-Prozess startete offiziell Ende der 90er Jahre, zuerst mit der „Lissabon-Konvention“ über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich 1997, dann folgte 1998 die Sorbonne-Erklärung (D, GB, F, I) um dann 1999 in die Bologna-Erklärung2 zu münden. Die Grundidee hinter dem Prozess ist die Verbesserung von gegenseitigen Anerkennungen im Bezug auf Studienleistungen und Abschlüsse zur Förderung von Mobilität von Studierenden und Lehrenden.
Die beiden Grundelemente, die uns bekannt sind ist die Umstellung auf eine 3-gliedrige Struktur (Bachelor, Master, PhD) sowie die Verwendung von ECTS-Punkten anstelle von Semesterwochenstunden.
Der Bologna-Prozess ist rechtlich nicht bindend, er beruht auf den Erklärungen (Communiqués), die alle 2 Jahre bei den ministeriellen Konferenzen von den jeweiligen Bildungs- bzw. WissenschaftsministerInnen unterzeichnet werden. Die EU selbst hat im Bildungsbereich keine Kompetenzen, versucht aber über Bologna, vor allem aber Lissabon (siehe weiter unten) ihren Einfluss zu erhöhen. Die laufende Arbeit im Bolognaprozess verläuft zum einen über das Bologna Sekretariat, das koordinierende Tätigkeiten übernimmt und das Board, das sich jeweils aus der EU-Präsidentschaftstroika und einem Mitglied der EU-Kommission zusammensetzt und in erster Linie die Vorbereitungen für die jeweils nächste Konferenz trifft. Beratende Institutionen sind dabei der Europarat, die ESU (European Students’ Union), die EUA (European University Association) und EURASHE (European Association of Institutions in Higher Education).
Die wichtigste Rolle im Prozess spielt die BFUG, die Bologna Follow-Up Group. Anhand von Workplans arbeitet sie Inhalte aus und setzt Schwerpunkte über Arbeitsgruppen (für 2010 insbesondere „Implementation of the Bologna Process“ – weil so viel schief geht…). Alle Teilnehmerstaaten sowie einE VertreterIn der Europäischen Kommission sind Mitglied. Auch hier gibt es die beratenden Institutionen, die eine sehr große (ExpertInnen)Rolle spielen. Diese sind die ESU (European Student Union), der Europarat, Education International (Gewerkschaft der Lehrenden), ENQUA (European Association for Quality Assurance in Higher Education), EUA (European University Association), EURASHE (European Association of Institutions in Higher Education), UNESCO-CEPES (European Centre for Higher Education) und Business Europe (BE).
Geschichte und Hintergrund
Die Entwicklung seit 1998 ist nachzulesen unter http://www.bmwf.gv.at/eu_internationales/bologna_prozess/ueberblick/
Genauso wie in Österreich Bildungspolitik stark von der Industriellenvereinigung mitgestaltet wurde, hatte auf europäischer Ebene der ERT (European Round Table of Industrialists) seinen neoliberalen Einfluss auf die gesamte Politik. Genauso wie der Lissabon-Prozess ist der Bologna-Prozess vor einem neoliberalen Hintergrund entstanden, wenn er sich auch anders weiterentwickelt hat als Lissabon (im Lissabon-Prozess gibt es nur die Kommission und keine BFUG oder sonst irgend ein annähernd demokratisches Gremium).
Action Lines im Bologna-Prozess
Im Bologna-Prozess wird mit verschiedenen sogenannten Action Lines gearbeitet. Gemeint sind damit die Schlagworte, zu denen Politik gemacht wird. In den vergangenen Jahren haben sich diese sehr stark erweitert, teilweise zum Guten, teilweise in eine problematische Richtung. Die Action Lines sehen dabei bestimmte Ziele vor, die in diplomatischer Sprache (wie alles auf europäischer Ebene) verfasst sind und deren daraus folgende Politik häufig in unterschiedliche Richtungen gehen kann.
Die derzeitigen Action Lines (Leuven und Louvain-la-Neuve 20093) sind:
1.Social Dimension
2.Lifelong Learning
3.Employability
4.Student-centred learning and the teaching mission of higher education
5.Education, research and innovation
6.International openness
7.Mobility
8.Data collection
9.Multidimensional transparency tools
10.Funding
Die ESU (European Students’ Union) hat zu den Action Lines ein Policy Paper verfasst, in dem verdeutlicht wird, was sie sich unter dem Prozess vorstellt. Die ESU, EURASHE, EUA, und EI haben in vielen Punkten die selben Ansichten und treten zB stark für Maßnahmen im sozialen Bereich ein. Nachzulesen ist das Policy Paper hier (diplomatische Sprache ist ein Must wenn das Paper gelesen werden soll, bei jeder Action Line gibt es auch ein Praise, das aber meistens nicht ernst gemeint ist.)
Lissabon-Strategie, OECD und Europäische Kommission
2001 beschlossen die Staats- und RegierungschefInnen Europas, innerhalb von 10 Jahren zum „international wettbewerbsfähigsten, dynamischsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ zu werden. Der Hintergrund ist klar: Europa hat weder billige Arbeitskräfte bzw. Industrie und keine Bodenschätze – Wissenschaft muss Exportgut Nummer 1 werden… Die Strategie, die in erster Linie auf die Gestaltung des europäischen Arbeitsmarktes abzielt, sieht in ihren Empfehlungen „zur Rolle der Universitäten im Europa des Wissens“ 20034 die krasse Umstrukturierung vor, die wir im Rahmen des UG 2002 erlebt haben. Das bedeutete die Implementierung von New Public Management Instrumenten wie Ziel- und Leistungsvereinbarungen, Entwicklungs- und Organisationsplan, zig Berichte und Datenerhebungen etc., die massive Beschneidung von demokratischer Mitbestimmung (eine derartige Entscheidungsfindung ist nicht effizient), Installierung der Universitätsrates, „autonom“ Universitäten etc., der Verweis auf die Finanzierungsmöglichkeiten von Universitäten über Studiengebühren, direkte Vermarktung von wissenschaftlichen Ergebnissen an die Wirtschaft und Sponsoring… Die OECD-Studie „Education at a Glance“, die jedes Jahr erscheint ist ebenfalls vor diesem Hintergrund zu sehen, wobei auch hier immer wieder Veränderungen zu sehen sind wie zB die Kritik an der zu geringen Finanzierung, der Schwerpunkt auf öffentlicher Finanzierung, der zu hohen sozialen Selektion, zu niedriger sozialer Unterstützung von Studierenden etc. Die OECD-Studie ist als Think-Tank zu verstehen, der die „Hard Facts“ zu den neoliberalen Bemühungen der Kommission und der Lissabon-Strategie liefert.
Analyse des Prozesses
Die Schwierigkeit in der Beurteilung des Prozesses liegt im unterschiedlichen Framing der eigentlichen Forderungen. Hierzu zwei Beispiele:
Lifelong Learning (LLL)
Eigentlich meint Lifelong Learning das Grundrecht zu studieren/lernen für Menschen aus allen Altersschichten und unabhängig von ihren Vorkenntnissen und zwar ohne finanzielle oder sonstige Hürden – das war (und ist) eine linke Forderung. Die Neoliberalen finden diese Forderung auch super: Lifelong Learning bedeutet für sie, dass prior learning, also Lernen zu Beginn des Lebens nicht mehr zwingend notwendig ist weil das ja ohnehin alle auch später nachholen können und dass zB Betriebe über LLL ihre MitarbeiterInnen dazu zwingen können sich fortzubilden und auf den aktuellsten Technologistand zu bringen, ohne die Löhne zu erhöhen.
Mobility
Im Ausland studieren zu können ist eine tolle Bereicherung für jedeN Studierenden, sowohl für die Persönlichkeitsbildung als auch im Bezug auf kulturellen Austausch etc. – finden wir alle toll. Die Neoliberalen finden Mobilität auch super – weil das Sprachenkenntnisse, internationale Erfahrung und Flexibilität bringt.
Wie also damit umgehen?
Was von neoliberaler Seite hier gemacht wird, ist spannend zu beobachten. In jeder unserer linken Forderungen steckt letztlich auch ein interpretierbarer Vorteil für die Neoliberalen: Wir wollen, dass alle die wollen studieren können und dass wir so viele Studierende wie möglich haben. Und da ist die Industriellenvereinigung doch sofort dabei, denn: Mehr AkademikerInnen erwirtschaften aufgrund ihrer höheren Ausbildung und ihrer (ungerechtfertigt) höheren Bezahlung mehr Profit für die Wirtschaft. Sind wir in diesem kapitalistischen System also zwangsläufig HandlangerInnen der Neoliberalen? Dürfen wir aufgrund der möglichen falschen Interpretation unsere Forderungen nicht mehr aufstellen?
Meiner Meinung nach müssen wir uns gegen die Fehlinterpretation wehren und die Forderungen neu „framen“, dh sie in unserem Kontext verstehen und verbreiten – und die Vorschläge von der Industrieseite selbst umdefinieren.
Die soziale Frage
Die gesamte Diskussion um Bologna, „Employability“ etc. wird meist auf einem „hohen“ Niveau geführt. Viele JournalistInnen sehen im Bachelor ein „Schmalpurstudium“ – nicht selten aus typisch österreichischen Standesdünkeln und Titelverliebtheit. Genauso birgt die vollkommen berechtigte Forderung „Bildung statt Ausbildung“ die Gefahr zu verkennen, dass es sehr viele Studierende gibt, die aus schwächeren sozialen Schichten kommen und sich für sie existenzielle Fragen stellen. Bereits jetzt haben wir die Situation, dass an den Berufsorientierten Fachhochschulen (wie auch an berufsbildenden höheren Schulen) die soziale Durchmischung höher ist, weil es für ArbeiterInnenkinder einfacher ist, ein Studium zu wählen das zu einem relativ klaren Berufsfeld führt. Bildung schließt Ausbildung nicht aus, sie beinhaltet sie (je nach Bildungsdefinition). Auch nach den früheren ganz freien Curricula hatten die AbsolventInnen Dinge gelernt, die sie zu Beruftstätigkeit befähigt haben (nona). Die Frage ist, wie geradlinig Bildung angelegt wird – und gegen diese Geradlinigkeit geht es im Endeffekt, da sie kritische Wissenschaft verdrängt. Klar ist, dass wir auch das Wirtschaftssystem, das all diesen Logiken zu Grunde liegt verändern wollen (wenn auch nicht klar ist in welche Richtung). Ich persönlich halte es für äußerst unwahrscheinlich, dass wir morgen den Kapitalismus abschaffen – das heißt aber nicht, dass ich bis zur tatsächlichen Überwindung der Ausbeuterei untätig bleiben will. Deshalb empfehle ich die Neudefinition und die aktive Veränderung von zB Studienplänen.
Studienpläne, Verschulung und Bologna
Durch die Entlassung der Universitäten in die Autonomie, das UG 02 und das Auslaufen des UniStG (Universitätsstudiengesetz, regelte früher die Struktur von Studienplänen, Begriffsdefinitionen á la - was ist eine Vorlesung) haben die Universitäten nur mehr sehr wenige gesetzliche Vorgaben für die Curricula-Erstellung. Abgesehen von einer fixen Zahl an ECTS-Punkten (30 pro Semester), dem definierten Gesamtumfang für Studien sowie den Rahmenbedingungen für die zu verfassenden Arbeiten sind die Universitäten frei, ihre Curricula zu gestalten wie sie möchten.
Die Senate mussten in ihren Satzungen quasi das UniStG ersetzen und selbst eigene Gerüste bauen. Für viele SenatsjuristInnen war diese Aufgabe sehr schwierig, da zur Bewältigung eigentlich eine legistische Ausbildung oder zumindest Erfahrung in diesem Bereich nötig gewesen wäre. Es wurde auch von manchen Senaten um eine legistische Fortbildung beim Ministerium gebeten – dies wurde abgelehnt. Im Laufe des Bologna-Prozesses entstanden zahlreiche „Empfehlungen“ wie die Modularisierung, die richtige Verwendung der ECTS-Punkte, Formulierung von Learning Outcomes und Qualifikationsprofilen etc. All diese Dinge können höchst unterschiedlich interpretiert werden und geben grundsätzlich nur einen Rahmen vor (Lehrveranstaltungsbeschreibungen, Semesterwochenstunden und Präambeln (jetzt Qualifikationsprofile) gab es schon immer). Die Senate waren häufig schlicht überfordert mit den Anforderungen, mussten sich aber dem Druck der Rektorate und der Leistungsvereinbarungen beugen.
Die Rahmenstruktur von Bologna gibt keine Verschulung, Zugangsbeschränkungen, die Streichung von Wahlfächern oder sonstigem vor. Sie ist als Struktur zu verstehen – und als solche zu nutzen – für unsere Interpretation. Bologna wurde in den vergangenen Jahren für viele Dinge als einfache Rechtfertigung verwendet – wir müssen jetzt definieren, wie wir uns ein Studium vorstellen und es uns dann einfach selber bauen ;)