Chroniken: “Was bisher geschah”

Aus Unibrennt Wiki (Archiv)
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1.Tag, 22.10., Donnerstag

Um 12 Uhr versammeln sich im Sigmund Freud Park vor der Votivkirche um die 400 Studierenden der Universität Wien, um von dort ihren Demonstrationszug in Richtung Hauptgebäude zu beginnen. Zu der Demonstration haben mit den derzeitigen Studienbedingungen unzufriedene StudentInnen der Universität Wien zusammen mit StudentInnen der Akademie der bildenden Künste aufgerufen. Entgegen diverser Gerüchte haben weder die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) noch eine Fraktion des StudentInnenparlaments zu dieser Kundgebung aufgerufen. Diese Demonstration ist von fraktionslosen StudentInnen der Universität Wien und unter tatkräftiger Unterstützung - sowohl in Planung als auch Beteiligung - von StudentInnen der Bildenden initiiert und ins Leben gerufen worden.

Der Demozug bewegt sich über die Gleise der Endstation der Straßenbahnlinie 43 und 44 zur Unirampe und von dort über den Haupteingang der Uni Wien in den Arkadenhof. Im Hof gibt es eine kleine Zwischenstation mit einer kurzen Rede per Megafon und unter viel Beifall und Zustimmung die Ankündigung zum größten Hörsaal der Universität Wien, dem Auditorium Maximum, ziehen zu wollen. Lautstark unter Rufen wie „Wessen Uni? UNSERE UNI“ ziehen die demonstrierenden StudentInnen durch die Gänge der Universität vorbei an der Universitätsbibliothek zum Audimax. Zahlreiche interessierte StudentInnen schließen sich diesem Umzug durch die Universität Wien an.

Um zirka 12:30 erreichen die StudentInnen das Audimax und strömen in Massen in den Hörsaal. Zur Zeit der eintreffenden StudentInnen findet gerade eine Vorlesung in Biologie statt. InitiatorInnen der Demo halten eine kurze Ansprache über die Hintergründe und den Zweck der Demonstration und verlesen eine Reihe von Forderungen. Anschließend ruft eine Rednerin der Bildenden fragend, ob man das Audimax besetzen wolle, was mit lautstarkem Applaus und freudigem Gegröle beantwortet wird. Es findet deswegen eine Abstimmung per Handzeichen statt, wer für oder gegen die Besetzung sei. Eine Zweidrittel-Mehrheit spricht sich für die Besetzung aus. Das Audimax ist fortan besetzt. Unter den anwesenden StudentInnen befanden sich auch eine Reihe von jenen Biologie-StudentInnen, die auf ihre Spezialvorlesung, einer Übung in Physik, warteten. Wir hoffen auf die Solidarität dieser Studierenden, ersuchen um ihr Verständnis für unsere Anliegen und bitten um Entschuldigung, wenn unsere Besetzung ihnen Unannehmlichkeiten bereitet hat. Aber wie es eine Rednerin so schön ausgedrückt hat "gehören auch diese 'Stolpersteine' – die Besetzung – zu einem universitären Studium dazu!"

Erste Plakate und Transparente werden an den Wänden angebracht und MitorganisatorInnen und andere StudentInnen ergreifen spontan das Mikrofon auf der Bühne und halten kurze Reden über die aktuelle Bildungspolitik im Allgemeinen und ihre persönliche Situation und Kritikpunkte an ihren Studienrichtungen im Speziellen. Die Stimmung im Audimax ist zu diesem Zeitpunkt ein Wahnsinn! Die RednerInnen erhalten lautstarken Beifall und immer öfter ertönen Sprechchöre wie "Wir sind hier und wir sind laut, wir sind gegen Bildungsraub" und "Bildung für alle – und zwar um sonst" durch das Audimax.

Diese ersten Stunden im besetzten Audimax sind vor allem von Spontaneität geprägt. Die InitiatorInnen haben selber nicht mit derart viel Zustimmung und vor allem so vielen BesetzerInnen gerechnet. Die Nachricht über die Besetzung des Audimax verbreitet sich rasch und von überall her aus den anliegenden Institutsgebäuden und Hörsälen strömen StudentInnen herbei. Die Tatsache, dass die Demonstration - die nun zu einer Besetzung geworden ist – nicht von einer Fraktion oder Partei organisiert worden ist, kommt sehr bald darin zum Ausdruck, dass die RednerInnen auf der Bühne des Audimax zur Selbstorganisation aufrufen: "Sprecht miteinander - bildet Gruppen, organisiert euch!" Diesem Aufruf folgen spontane und selbstorganisierte StudentInnen. Mit Hilfe von Sach- und Geldspenden wird für Verpflegung der BesetzerInnen gesorgt; StudentInnen brechen zur Mobilisierung in andere Hörsäle und Universitätsgebäude auf und verstärken so den Zustrom zur Besetzung. Hierbei ist es kurzzeitig sogar zu einer Besetzung des Hörsaales ??? im Neuen Institutsgebäude (NIG) gekommen, ehe dessen StudentInnen zum Großteil ins Audimax aufbrachen. Um zirka 14 Uhr kehren die StudentInnen der Bildenden zu ihrer eigenen Besetzung in der Akademie der Bildenden zurück. Von nun an sind die Studierenden der Universität Wien auf sich selbst gestellt. Doch die Protestwelle ist schon voll von den StudentInnen der Bildenden auf die StudentInnen der Uni Wien übergeschwappt. Die StudentInnen beginnen sich in unterschiedlichen Arbeitsgruppen zusammen zu finden. In der Zwischenzeit kommt es auch zu vereinzelten Besetzungen einiger leider ungeheizter Hörsäle wie HS 30 und 33, die später als Schlafsäle genutzt werden. Die versuchte Räumung durch den Sicherheitsdienst der Uni Wien wird durch friedliche Sitzblockaden im Türbereich verhindert.

Um zirka 14.30 Uhr versucht der private Sicherheitsdienst auf Anweisung der Uni Wien hin, im Hauptgang vor dem Audimax den Zugang zu blockieren und Holzzäune aufzustellen. Die StudentInnen reagieren schnell und verhindern die Blockade friedlich durch passiven Widerstand (Sitzstreik und Gespräche). Um zirka 15 Uhr betreten auf Bitte des Rektorats hin zirka drei Dutzend PolizistInnen das Universitätsgelände und sperren den Zugang zum Audimax sowohl über den Gang als auch über den Zugang rechts vorne ab. Einziger verbleibender Zugang bleibt - durch die Absperrungen etwas schwer zugänglich - der Eingang links vorne im Audimax. Das Eintreffen der Polizei löst bei vielen StudentInnen Nervosität aus, da man zu diesem Zeitpunkt nicht weiß, wie die Polizei weiter vorgehen wird. Es kursieren Gerüchte über eine mögliche Räumung. Durch das Mikrofon im Audimax wird zur Ruhe aufgerufen und versucht, durch ständige Informationen, die Studierenden zu beruhigen und die Situation zu deeskalieren. Der Versuch das Audimax durch die Absperrungen auszudünnen, gelingt der Polizei nicht; per Mundpropaganda wird der letzte offene Zugang an die StudentInnen weiterkommuniziert. Couragierte StudentInnen versuchen auf die Polizei einzureden und können die Einsatzkräfte davon überzeugen, nur soweit abzusperren, dass für die StudentInnen im Audimax die Toiletten zugänglich bleiben. Die Lage entspannt sich rasch weitgehend und über den Köpfen der PolizistInnen wird mit aufgeblasenen Plastikstrandbällen Volleyball gespielt und durch Sprechchöre die Polizei zur Freigabe der Zugänge aufgefordert.

Um zirka 17 Uhr zieht die Polizei unter viel Applaus ab. Offizielle Erklärung ist laut standard.at, dass sich die Polizei nicht über die weitere Vorgehensweise im Klaren sei. Gerüchten zufolge sollten die PolizistInnen jedoch sowieso von Anfang an, später für das Europeleague Heimspiel der Austria Wien abgezogen werden.

Nach dem Abzug der Polizei findet das erste offizielle Plenum statt, bei dem erste grundlegende Forderungen formuliert werden. Das erste Plenum dauert mehrere Stunden lang. Das Audimax ist mittlerweile zum Bersten voll und die Stimmung ist sehr euphorisch; immer wieder ertönen Sprechchöre. Nach dem anstrengenden ersten Halbtag der Audimax-Besetzung haben sich die StudentInnen wahrlich eine kleine Pause verdient. Und wie heißt es doch: "Eine Revolution ohne Tanz, ist eine Revolution, die sich nicht lohnt". Im Audimax und Gang davor legen DJs auf und eine italienische Punkband namens "Rock against Berlusconi" hat anlässlich der Audimax-Besetzung ihr Konzert kurzfristig dorthin verlegt.

2. Tag, 23.10., Freitag

Die Selbstorganisation nimmt am zweiten Tag weiter konkretere Formen an. Beim ersten Plenum des Tages wird zudem eine spontane Aktion überlegt, ein Aufmarsch am Ring, um sich einerseits die Form des Protestes und andererseits die Anzahl der Protestierenden öffentlich zu präsentieren. Es versammeln sich Studierende und marschieren über den Ring zum Minoritenplatz zum Wissenschaftsministerium. Danach teilt sich die Menge, der eine Teil geht weiter den Ring entlang bis zur Akademie der Angewandten, der andere Teil kehrt zurück zum Audimax. Einige StudentInnen gehen zum Festsaal der Universität. Dr. Johannes Hahn, Bundesminister für Wissenschaft und Forschung, soll die Eröffnungsbotschaft bei der internationalen Konferenz für Islamische Bildung in Südosteuropa vortragen, dies sagt er jedoch ab. Die zahlreichen StudentInnen kehren zurück zum Audimax. Die Vorbereitungen für das nächste Plenum sind bereits im Gange. Beim zweiten Plenum zu Mittag wird erstmals ein sechsköpfiges Organisationsteam gewählt, das für die Vernetzung der einzelnen Arbeitsgruppen und Koordinierung der jeweiligen Tagesarbeiten zuständig sein soll und jeden Tag neu gewählt wird.

18 Uhr: Nun, nach einer langen Nacht und einem relativ leeren Audimax am Vormittag und einem langen und arbeitsreichen Tag, ist das Audimax in gespannter Erwartung auf das dritte Plenum des Tages - das erste Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen präsentieren will - wieder voll besetzt. Für 19.30 Uhr ist eine Pressekonferenz angesetzt, die am Nachmittag unter Beteiligung aller anwesenden StudentInnen beschlossen wurde. Es beginnt sich allmählich abzuzeichnen, dass eine zunehmende Strukturierung, nach der der Ruf immer lauter wurde, voran geht, nicht zuletzt, um der Presse Konkretes präsentieren zu können. Man einigt sich darauf, fortan über Beschlüsse per Handzeichen abzustimmen, anstatt mittels undurchsichtigen und eher spontan aufflammenden Applauses Mehrheitsverhältnisse festzustellen.

Die Wahl von drei SprecherInnen für die Pressekonferenz, sowie die endgültige Festlegung durch basisdemokratische Beschließung der bereits bekannten (oben genannten) und daher als allgemeiner Konsens geltenden Forderungen, erweist sich aber zunächst als schwierig, da die unabhängigen und parteilosen StudentInnen deutlich machen wollen, dass sie zum einem eine zu starke FührerInnenschaft der ÖH ablehnen, die hier in der Person von Sigrid Maurer angesichts der näherrückenden Pressekonferenz auf schnelle Ergebnisse drängt. Zum anderen will man sich nicht, u.a. von den Medien, hinsichtlich einer Präsentation von Forderungen und Lösungen unter Druck setzen lassen, da - auch das wird deutlich - es zunächst und vor allem das Ziel sein muss, eine gesamtgesellschaftliche Bewusstlosigkeit zu durchbrechen und eine breite Bildungsdebatte anzustoßen. Die Durchsetzung dieses grundsätzlichen Anliegens ist der eigentliche Kern der Besetzung, die sichtbarer Ausdruck einer ganzen Bewegung sein will, und soll auch über diese hinaus sowohl räumlich und zeitlich unbegrenzt, mit den verschiedensten Mitteln realisiert werden.

Die Medienpäsenz spielt dabei eine nicht unerhebliche Rolle, weshalb es schließlich doch zur zügigen Abstimmung über die Forderungen und das weitere Vorgehen kommt, was nicht nur offenbart, dass man gewillt ist mindestens bis zum Samstag auszuharren, wo dann das weitere Vorgehen beschlossen wird, und das man weitere, darüber hinausgehende Aktionen, wie etwa einen Aktionstag am Dienstag, beschließt, sondern auch die Lust an gelebter und produktiver Streitkultur und der inhaltlichen Diskussion, die jeden zu Wort kommen lässt, wird sichtbar und bildet das Fundament der Bewegung. Es herrscht Demokratie an der Universität, sie wird gelernt und gelebt. Die Re-Demokratiseirung der Uni ist in vollem Gange – auch eine Forderung, die in diesem Plenum beschlossen wurde.

Die Pressekonferenz, die unmittelbar im Anschluss an das offizielle Plenum live aus einem Nebenraum übertragen wird, verkündet die frischen Beschlüsse und trägt die, von den StudentInnen gemeinsam verfassten, Forderungen vor. Auf Nachfrage, wie lange denn noch mit einer Besetzung zu rechnen sei, erfahren die anwesenden JournalistInnen, dass nicht so schnell mit einer Beendigung zu rechnen sei und dass man noch "so einiges erleben" werde. Die vage Ankündigung, die ahnen lässt, dass die Proteste und die Besetzung kein absehbares Ende haben, stößt auf breite Zustimmung des Plenums im Audimax, dessen laustarke Zustimmung weithin hörbar ist.

Nach dem Plenum wird, wie auch in der Vornacht, wieder mit Live-Musik im Audimax und rundherum gefeiert. Im Gang vor dem Audimax, wie auch im Innenhof der Universität haben sich DJs aufgestellt. Die Stimmung ist gut. Es wurden wieder Schlafsäle, diesmal auch in Hörsaal 24, eingerichtet. Sachbeschädigungen, in Form von Graffitis, (zu denen es in dieser Nacht gekommen ist, die von der breiten Basis abgelehnt werden und die vermutlich durch Personen entstanden sind, die den Anliegen der StudentInnen schaden wollen) zeigt die Fähigkeit der Studierenden zur spontanen Selbstorganisation. Noch in der Nacht wird eine AG Krisenmanagement gegründet, die nicht nur die Verhinderung von Ausschreitungen und Vandalismus zur Aufgabe hat - wobei sie mit den privaten Sicherheitsdiensten der Universität (und der Polizei?) zusammen arbeiten will - sondern auch ein Erste-Hilfe-Zentrum eingerichtet hat. Auch des Problems des zunehmenden Mülls und anderweitiger Verunreinigungen wird sich über Nacht und am Morgen verstärkt angenommen und von freiwilligen Putztrupps bewältigt. Für die externen Reinigungsdienste der Universität Wien, die auch verstärkt zum Einsatz kommen müssen, werden Spenden gesammelt.

3. Tag, 24.10., Samstag

Das 2. Plenum am 3. Besetzungstag präsentiert sich reorganisierter und demokratisierter. Klare Tagesordnungspunkte gilt es abzuarbeiten. Zunächst wird aber dem vollen Hörsaal mit einiger Verspätung eine Live-Schaltung zur Akademie der Bildenden Künste und zu den BesetzerInnen der Uni Graz präsentiert, die sich solidarisch erklären. Solidaritätserklärungen erreichen die StudentInnen im Audimax ununterbrochen: Nachdem am Nachmittag das "Kollektiv Kindergartenaufstand" sich solidarisch erklärt – die externen UniversitätsmitarbeiterInnen und –lektorInnen erklärten sich bereits am ersten Tag solidarisch – folgen im Laufe des Tages u.a. Solidaritätserklärungen der Universität Frankfurt und Göttingen, des VÖGS (Verein österreichischer gehörloser Studierender), der GPA-djp (Gewerkschaft der Privatangestellten Druck-Journalismus-Papier) und der g-mtn (Gewerkschaft Metall-Textil-Nahrung). Im Plenum soll beschlossen werden, ob man sich mit den Gewerkschaften, die sich momentan in Lohnverhandlungen befinden, solidarisiert.

Die Ankündigung, dass nächste Woche der VÖGS ins Audimax kommt und seine spezifischen Forderungen (wie z.B. DolmetscherInnen in allen Lehrveranstaltungen) formulieren wird, stößt auf lautstarke Zustimmung und schließlich zur Aufnahme der allgemeinen Forderung in den Hauptforderungskatalog, dass an allen österreichischen Hochschulen der Behindertengleichstellungsgrundsatz und barrierefreies Studieren durchgesetzt wird.

Zuvor werden aber - und bevor die Ergebnisse der Arbeitsgruppen präsentiert werden - die Themen Sexismus und Vandalismus angesichts der vergangenen Nacht zur Diskussion gestellt und einstimmig als nicht wünschenswert erklärt. Die Überlegung aus einem "open mic" Beitrag am Ende des Plenums, ein Spendenkonto einzurichten, für diejenigen, die nicht aktiv an der Besetzung teilnehmen können und das u.a. zur Abdeckung enventuell entstehender Kosten aus Sachbeschädigungen genutzt werden soll, stößt auf breite Zustimmung.

Der Protest, der eine Bewegung ist, die Inhalte anspricht, die nicht nur österreichische Universitäten, geschweige denn nur die Universität Wien betreffen, sondern gesamtgesellschaftliche Relevanz haben, findet zunehmend internationales Interesse – die französische Tageszeitung "Le Monde" und der deutsche private Fernsehsender RTL haben angefragt.

Der Demokratisierungsprozess innerhalb der Besetzung schreitet voran. Immer mehr wird darauf geachtet, dass nach Außen nicht nur verstärkt Inhalte, sondern auch ein positives Bild transportiert wird, um negativen und voreingenommenen Berichten entgegenzuwirken. Die Demokratisierung soll die Protestbewegung aufrechterhalten und stärken, weshalb dafür gesorgt wird, dass alle Anwesenden sich wohl fühlen, was auch so banale Dinge betrifft, wie ein rauchfreies Audimax. Das Risiko eines Zusammenbrechens der Besetzung soll eingedämmt werden. Gerade in den Morgenstunden ist die Zahl der BesetzerInnen auf ein Minimum gesunken. Für den Abend ist, nicht zuletzt aus diesem Grund, ein eher ruhigeres Programm geplant. Christoph Hasibak und auch Mazi singen, danach soll der Film Hessen (Summer of Resistance) und Pretty Cool System mit anschließender offener Diskussion, gezeigt werden.

Die Ankündigung der Volxküche, dass die Besetzung über das Wochenende gesichert ist und dass es, soweit es die Nahrungsmittelversorgung betrifft, keinen Grund zur vorzeitigen Aufgabe gibt, euphorisiert die Menge. Die zahlreichen Sach- und Geldspenden machen es ohne weiteres möglich länger auszuharren.

Um 16 Uhr werden auf der bisherigen Onlinepräsentation freiebildung.at die Forderungen aktualisiert.

  • Ausfinanzierung der Unis
  • Demokratisierung der Unis und Stärkung der studentischen Mitbestimmung
  • Schluss mit prekären Dienstverhältnissen für Lehrende, Forschende und ArbeiterInnen
  • Freie Masterzugänge und keine verpflichtenden STEPs
  • Abschaffung der immer noch bestehenden Studiengebühren (auch für MigrantInnen)
  • Keine Studienbeschränkungen EU-weit; Weg mit fixen Erweiterungscurricula; für freie Wahlfächer
  • Weg mit Vorraussetzungsketten
  • Weg mit dem Punkte-Anmeldesystem
  • Schluss mit dem Bolognaprozess bzw. dem Bachelor-Master-System
  • Für die Einführung einer Frauenquote in der Universitätsverwaltung
  • Realisierung des Behindertengleichstellungsgrundsatzes und barrierefreies Studieren an allen österreichischen Hochschulen

Eine gute Demokratie zeichnet sich durch kritische Selbtreflexion aus. Auch das ist in zunehmenden Ausmaß zu beobachten. Die Gründung von Arbeitsgruppen wie "Verstand mit Widerstand" oder "Gewaltfreie Kommunikation" zeugen davon. Ganz in diesem Sinne klingt der Abend dann auch, wie angekündigt, eher ruhig aus. Die Diskussionen werden, bis tief in die Nacht hinein, nach den verschiedenen Beiträgen, sogar für diese Uhrzeit ungewöhnlich politisch und ernst geführt, entgegen all den Vorwürfen, dass die Proteste lediglich für "Partys missbraucht" werden. Am selben Abend erreicht überraschend die BesetzerInnen die Quasi-Solidaritätserklärung von Bundeskanzler Faymann, der erklärt, dass er die Anliegen der StudentInnen selbstverständlich "verstehe und respektiere" und dass es nun bei dem zuständigen Minister läge, ein Konzept vorzulegen, das die Universitäten in Österreich zukunftsfähig macht, "ohne dass junge Menschen von höherer Bildung ausgeschlossen werden". Bundeskanzler Faymann lehnt dabei die vollständige Wiedereinführung der Studeingebühren ab.

Das zwar bereits in den Vortagen in Angriff genommene, aber nicht gelöste Müllproblem wird nun in großem Maßstab durch die MA 48 aus der Welt geschafft. Am nächsten, am 4. Besetzungstag wird es konsequenterweise zu einer noch effektiveren, spontan organisierten und erfolgreichen Müllbekämpfungsstrategie kommen, die alle auffordert, ständig und selbständig mitzuhelfen "Unsere Uni" sauber zu halten. Es wird überall Müllsäcke und Besen geben.

4. Tag, 25.10., Sonntag

1. Plenum, 11-13 Uhr - Politisierung und Digitalisierung

Mit dem vierten Protesttag gewinnt die Bewegung, bei der die Besetzung des Audimax’ nur die Spitze des Eisbergs zu sein scheint, an politischem Profil. Es wird zunehmend deutlich - nicht zuletzt durch den nachmittäglichen Vortrag von Prof. Alex Callinicos vom King’s College in London zum Thema "Universitäten in einer neoliberalen Welt" - dass sich hier in Wahrheit vielmehr Widerstand gegen eine neoliberale Politik regt, die weltweit ihre kapitalistischen Fühler ausstreckt und die nicht bei der Bildung aufhört, sondern in alle Lebensbereiche greift. Folglich ist es nur konsequent, dass eine Diskussion darüber entflammt, ob man sich mit den verschiedensten ArbeiterInnen-Gewerkschaften solidarisiert und mit ihnen "gemeinsame Sache" macht. Das Ergebniss ist eindeutig, der Kampf ist ein gemeinsamer Kampf. Solidarität ist daher, laut Prof. Callinicos später, auch das wichtigste Zeichen eines Widerstands wie diesem, der an sich die Essenz für die Realisierung einer anderen, besseren Welt ist, denn die Krise ist - spätestens seit der Weltwirtschaftskrise - eine Krise des Systems und nicht nur eine der Universitäten.

Aber nicht nur in der politischen Dimension geht dieser Protest über alle bisherigen StudentInnenproteste in Österreich hinaus, sondern auch in der Art und Weise, wie er geführt wird. Allein bei diesem Plenum verfolgen, neben den hunderten im Saal Anwesenden, über 1000 Personen den Live-Stream im Internet. Die facebook-Fanseite hat zu diesem Zeitpunkt bereits über 7000 Fans, die rege auf der Pinnwand diskutieren und Twitter gehört ohnehin seit der ersten Stunde zum schnellen und direkten Kommunikationsmittel, welches die Nachricht der Besetzung wie ein Lauffeuer verbreitete und seither jedem ermöglicht live zu verfolgen, was jede Minute der Besetzung im Audimax passiert. Die neue Internetseite, welche die bisherige freieBildung.at ablöst und in den nächsten Tagen zur Vernetzung aller Einzelgruppierungen und Universitäten beitragen soll, und die fortan unter dem Motto-Namen unsereuni.at bzw. unibrennt.at zu erreichen ist, wird zu einem immer wichtigeren Kommunikationsinstrument der Bewegung.

Die Protestbewegung der Studierenden, die sich inzwischen auf ganz Österreich ausgeweitet hat, wird, nicht zuletzt mit dieser Zentralisierung aller Informationen und Nachrichten, die vorher einzeln über unterschiedlichste Social-Networks verbreitet und diskutiert wurden, zu einer digitalen Bewegung, die online bereits mehr AnhängerInnen hat, als sich tatsächlich BesetzerInnen in den verschiedenen Universitäten und Hochschulen befinden. Und so ist sie auch noch ein Stück demokratischer Raum für eben all jene, die nicht anwesend sein können und sich trotzdem an den Diskussionen beteiligen möchten.

"Another world is possible!"

Prof. Alex Callinicos berichtet um 15 Uhr im Audimax über die Verhältnisse im Bildungssystem Großbritanniens, er betrachtet die dortige Situation als beispielgebend für die Entwicklung in Europa im Rahmen des Bologna-Prozesses. In Großbritannien spricht die Regierung ganz offen über die Instrumentalisierung der Bildung zur Profitmaximierung. Universitäten werden anhand der Akquirierung von Forschungsgeldern bewertet und über deren Zuteilung kontrolliert. Diese Wettbewerbisierung der Universitäten (deren völlige Unterwerfung unter die Logik des Wettbewerbs) beginnt bei den Blöcken der ersten Welt (EU, USA, Süd-Ost-Asien) und pflanzt sich auf allen Ebenen des universitären Systems über die Nationalstaaten bis zu den einzelnen Universitäten und deren Abteilungen sowie Lehrenden fort. Wettbewerbisierung führt zu Hierarchisierung und Elitisierung.

Callinicos warnt vor einer Verklärung der "guten alten Zeit", erinnert an die Rolle der Universitäten in der gesellschaftlichen Elitenproduktion und plädiert für ein Bildungssystem, das auf intellektueller Neugier basiert. Um die gegebenen Verhältnisse zu ändern bedarf es einerseits der Erkenntnis, dass die aktuellen Bildungsproteste eine Facette der allgemeinen Krise des Kapitalismus sind, andererseits den Mut zu Widerstand und Solidarität. Widerstand und Solidarität, die nicht nur auf die Bildungseinrichtungen beschränkt sein dürfen, sondern sich auf andere Teile der Gesellschaft und deren emanzipatorische Kämpfe ausweiten müssen. Verweisend auf den vor 10 Jahren geprägten Slogan der Antiglobalisierungsbewegung "Another world is possible!" ruft Callinicos dazu auf, das kapitalistische System zu durchbrechen und es durch ein System zu ersetzen, das auf humanistischen Standards und demokratischer Kontrolle basiert.

2. Plenum, 20 Uhr

Laut Beschluss des Plenums um 20 Uhr wird die Besetzung des Audimax weitergeführt werden. Der Protest soll zudem auf andere Schichten ausgeweitet werden. Die Idee ist, sich aktiv um Solidarisierungen zu bemühen und Leute, die sich dem Protest anschließen ins Plenum einzuladen. Der Raum soll politisiert werden: für die nächsten Tagen sind Vorlesungen von verschiedenen Vortragenden, unter anderem Christian Felber (Transkript der Rede) und Robert Menasse geplant. Im Folgenden stellen die einzelnen Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse vor. Die AG Widerstand mit Verstand spricht sich für eine bessere Diskussionskultur aus, in der verschiedene Meinungen angehört werden. Die AG Forderungen stellt ihren neuen Forderungskatalog vor; dieser ist auf der Homepage einsehbar. Dass StudentInnen aus Drittstaaten immer noch benachteiligt werden, wird von der AG MigrantInnen kritisiert. Die AG Presse stellt die zentrale Kritik in den Medien dar. Diese bezieht sich überwiegend auf zwei Punkte: Zum einen gibt es die irrtümliche Ansicht, dass die Studierenden fordern Prüfungen abzuschaffen. Diese Forderung hat es nie gegeben, jegliche Statements dieser Art stehen in keinem Zusammenhang mit den Forderungen. Die zweite Kritik in der Presse bezieht sich auf die hohen Sachschäden: Daraufhin hat das Presseteam das Raum- und Ressourcenmanagement kontaktiert, um genauere Infos über diese Schäden herauszufinden. Laut Flora Eder (ÖH Uni Wien) hat die Uni besondere Kosten aus folgenden Gründen veranschlagt:

  • Am Freitag Abend musste ein Diavortrag der COCO Weltweit Reisen GmbH ins NIG verlegt werden; dadurch wurden Verlegungskosten verursacht
  • Wegen der Besetzung konnte der Strom für den Umbau nicht abgeschalten werden, dies führte zu Verzögerungen bei den Bauarbeiten
  • Ein falscher Feueralarm und Polizeieinsatz, der durch Rauchen im Hörsaal ausgelöst wurde, wird der Uni in Rechnung gestellt
  • Auch die Verlagerung von Lehrveranstaltungen und Anmietung von weiteren Hörsälen bzw. Aufsichtspersonal für Prüfungen wird wohl Kosten verursachen
  • sowie die verlängerten Arbeitszeiten der Sicherheitsdienste

Die ÖH schätzt den Gesamtschaden auf höchstens 50.000 EURO, die tatsächlichen Sachschäden können dabei nur einen Bruchteil ausmachen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung kann aber, nach Flora Eder nicht in Geld beziffert werden. Die Verantwortung für die Proteste liegt zudem bei Minister Hahn und vergangenen Regierungen, die es versäumten, die immer wieder vorgetragenen Mängel zu beseitigen. Eine genaue und transparente Aufstellung der Kosten muss von der Uni-Führung aber noch vorgelegt werden. Die Antwort der Universität macht jedoch deutlich, dass es keine Details geben wird, solange es keine Verantwortlichen gibt. Es gibt weiterhin den Konsens im Plenum, dass es keine zentrale Ansprechperson geben soll. Weiterhin wird verkündet, dass die neue Homepage der Besetzung nun unter www.unsereuni.at abrufbar ist. Auch die TU Wien, die Akademie der Bildenden Künste und andere österreichische Hochschulen werden auf dieser Homepage ihre Infos veröffentlichen. Die AG Chronik sucht weitere MitarbeiterInnen, die AG Fassade benötigt Materialien wie Leintücher, Transparente, Farben etc. Die AG Demo bereitet die Demonstration vor, die am Mittwoch um 17 Uhr vor der Unirampe stattfinden wird. Das Motto lautet "Geld für Bildung statt für Banken und Konzerne". Der Flyer wird vorgestellt und wird jetzt in Druck gehen. Die AG Fachhochschule wird sich Montag um 7.30 Uhr im Audimax treffen, die AG Straßentheater ebenfalls am Montag um 9.30 Uhr. Die AG Rechtsinformation trifft sich am Montag um 14 Uhr am Studentpoint. Es soll einen Workshop zur Aufklärung zum Verhalten auf Demos geben. Um den Protest auch auf Schulen auszuweiten, gibt es nun die AG SchülerInnen-Vernetzung. Diese kümmert sich um die Mobilisierung von Schulen und Forderungen der SchülerInnen.

Die 10 Forderungspunkte sind:

  • Solidarität mit www.unsereuni.at
  • Gegen die Zentralmatura
  • Gegen Verschlechterungen des LehrerInnen-Dienstrechtes
  • Demokratisierung der Schule und SchülerInnen-Mitbestimmung
  • Streikrecht für SchülerInnen
  • Kein differenziertes Schulsystem
  • Keine soziale Selektion an Schulen
  • Sitzenbleiben abschaffen
  • Gegen Ökonomisierung der Schulen
  • Geld für Bildung statt für Banken und Konzerne

Außerdem werden weitere AGs zu den Themen Vernetzung Unis/Lehrende, Selbstverteidigung, Marxistische Perspektiven, Frauen, Gewaltfreie Kooperation, Mobilisierung, "Österreich ist geil", BOKU, Tag der offenen Tür und BildungswissenschaftlerInnen vorgestellt. Für weitere Infos kann sich jedeR am Infopoint melden. Die AG Abendgestaltung hat das heutige Abendprogramm vorgestellt, dieses wurde dann weiter ausdiskutiert. Eine Skaband wird auftreten, danach wird es eine offene Jamsession geben. Außerdem wird getrennt vom Audimax ein "Party-Raum" eingerichtet werden. Feiern wird auch als Ausdruck der Protestkultur gesehen. Es wird viel gearbeitet, also kann auch gefeiert werden. Die AG Iran tauscht sich mit Studierenden aus dem Iran aus, sie schlägt zudem vor, eine Solidaritätserklärung zu verschicken. Folgendes ist der Vorschlag für die Solidaritätserklärung:

"Wir, die BesetzerInnen der Universität Wien erklären uns solidarisch mit der StudentInnenbewegung und der gesamten Freiheitsbewegung im Iran.

  • Wir unterstützen eure Forderungen.
  • Freiheit für alle StudentInnen und alle politischen Gefangenen des Regimes!
  • Wiederaufnahme von den aus politischen Gründen ausgeschlossenen StudentInnen!
  • Abschaffung von Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren für alle StudentInnen und nicht nur für regime-nahe Organisierte!
  • Gegen jede staatliche Repression!
  • Trennung von Staat und Religion auf Unis und sonst überall!
  • Für eine echte demokratische Gesellschaft!"

Für Mittwoch, 17.00 Uhr ist eine Großdemonstration, beginnend an der Uni-Rampe, geplant.

(Quelle: www.unsereuni.at)

5.Tag, 26.10., Montag

Tag der offenen Uni

Um 11 Uhr Vormittags herrscht im Audimax noch keine Hochstimmung. Mit müden Gesichtern verrichten Studierende ihre Aufgaben, andere schlafen noch in den Sitzreihen. Ein Fotograf mit Presseausweis schießt Bilder von der Situation. Trotzdem ist bereits die gewohnte Aufregung zu spüren. Wer die Energie hat, bereitet das Plenum vor, malt Plakate oder bespricht Anliegendes mit der Arbeitsgruppe. Aus den Sitzreihen ertönt Gitarrenmusik. Immer mehr Leute trudeln ein und die morgendliche Müdigkeit weicht reger Betriebsamkeit. Eine Studentin strickt, um sich die Zeit bis zum Plenum zu vertreiben. Ein Plakat an der Wand fordert dazu auf, die Telefonnummer der Rechtshilfe auf den Arm zu schreiben – "Händis können euch abgenommen werden!", heißt es dort. Während für das Drucken von Flyern Geld gesammelt wird, beginnt das Plenum. Plötzlich sind alle hellwach und ganz bei der Sache. Die Arbeitsgruppen tragen Fortschritte und Diskussionspunkte vor. Unter anderem will die AG Mobilisierung eine Buttonwerkstatt einrichten und bittet um helfende Hände. Wichtiger Themenpunkt ist, wie der Nationalfeiertag genutzt werden soll. Es wird vorgeschlagen auch im Audimax einen „Tag der offenen Tür“ zu veranstalten.

Gesagt, getan. Mit Flyern ausgestattet, laden Studierende der Protestbewegung PassantInnen zu einer Führung in und um das Audimax. Diese sollen die Möglichkeit bekommen, sich selbst ein Bild von der Aktion zu machen und etwas über die Organisation der Arbeitsgruppen zu erfahren. Mindestens 20 Interessierte versammeln sich um 14.30 Uhr am Treffpunkt vor der Uni. Die Führung beginnt mit einer Schilderung über die Audimax Besetzung und die Gründe für den Protest. Die BesucherInnen machen teils skeptische, teils freundliche Gesichter – alle hören jedoch interessiert zu. Nach den einleitenden Gedanken, ist das Fenster vor dem Presseraum erste Station der Führung. Hier erfahren die Audimax-Gäste, welche Aufgaben die Arbeitsgruppe Presse übernimmt. Diese erstrecken sich von der Aussendung von Pressemitteilungen über die Betreuung diverser social networking Plattformen im Internet bis zur Pflege, Aktualisierung und Ausbau der eigenen Homepage, die zunehmend auch von anderen besetzten Unis genutzt werden kann. Ein Blick zum Fenster hinein zeigt: Hier schläft keiner und wird auch so bald nicht dazu kommen. Unaufhörlich wird in die selbst mitgebrachten Laptops getippt, ständig läuten die Telefone und immer wieder kommen neue Aufgaben, Ideen und Berichte.

Nächste Station der S.U.W.-Führung (Selbstverwaltete Universität Wien) ist der Gang zum Infopoint. Ein Plakat an der Tür bittet darum, vor dem Eintritt, die Schuhe abzuputzen – schließlich wurde eben erst gewischt. Die BesucherInnen können sich ein Schmunzeln nicht verkneifen – auch die Skeptischen unter ihnen tauen langsam auf. Vor dem Eingang der – eben in die Audimax Garderobe umgesiedelten – Volxküche wird Halt gemacht. Dort ist die Arbeitsgruppe Küche unaufhörlich mit Kochen, Schneiden, Würzen, Marinieren, Abwaschen und Kaffee zubereiten beschäftigt – Protestierende müssen ja auch etwas zwischen die Zähne kriegen. Die BesucherInnen können sich selbst davon überzeugen, dass das bestens funktioniert. Sie werden nach der Führung zu Kaffee und Tee eingeladen. Spenden in Form von Geld und Lebensmitteln ermöglichen der Volxküche, die BesetzerInnen des Audimax zu ernähren. Jeder trägt etwas bei – wer Töpfe und Pfannen, Teller und Besteck, Becher, Toaster, eine Kaffeemaschine oder was sonst von Nutzen ist, beisteuern kann, wird begeistert empfangen. Wer Geschirr und Besteck benutzt, wird gebeten, dieses gleich selbst abzuwaschen.

Am Infopoint vorbei geht es weiter ins Audimax selbst, wo gerade der Vortrag von Fritz Keller beginnt. Diesem können die BesucherInnen je nach Wunsch einige Minuten beiwohnen – und danach zum Abschluss der Führung an Treffen von Arbeitsgruppen teilnehmen – oder ihn bis zum Ende anhören. Ein Teil der Gäste entscheidet sich für einen Besuch bei einer Arbeitsgruppe. Die AG Straßentheater erzählt von ihren Tätigkeiten und berichtet von den Aktionen am Nationalfeiertag. Mit kleinen Theaterstücken und kreativen Spielen auf der Straße hat sie versucht der Bevölkerung die Ideen der Protestbewegung näher zu bringen. Mit der AG Straßentheater unterhalten sich die letzten BesucherInnen noch lange. Die Studierenden erzählen von ihren Ideen, Forderungen und Fortschritten. Die BesucherInnen berichten von ihren Eindrücken und scheinen darüber verwundert, dass in den Medien soviel Negatives von der Besetzung des Audimax zu hören ist. Eine Besucherin hält dem entgegen, dass die Protestaktion "einen sehr friedlichen, fröhlichen und netten Eindruck" macht und fragt, wie sie helfen kann. Nach dem Gespräch geht es zur letzten Station der S.U.W.-Führung in den Presseraum selbst. Die BesucherInnen können sich dort unter die Studierenden mischen und ihnen bei der Arbeit zusehen.

Um 17 Uhr steht der nächste Veranstaltungspunkt an. attac-Österreich Mitbegründer Christian Felber spricht im Audimax über Neoliberalismus und Ökonomisierung der Bildung. Seinen Vortrag beginnt er mit den Worten: "Ihr seid mutig, ihr seid politisch, ihr zeigt demokratische Verantwortung." Es folgt tosender Applaus. Dann erklärt Felber, warum er mit dem einverstanden ist, was die Audimax-BesetzerInnen tun. Er spricht sich gegen die Privatisierung und Liberalisierung von Bildung aus und zeigt auf, dass nicht nur in Österreich, sondern weltweit, genug Geld da ist; nicht nur, um die Bildung zu finanzieren, sondern auch um die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern. Er spricht von Demokratie und darüber, dass in Österreich keine herrscht. Nicht das Volk bestimmt, sondern nur die Regierung, die sich über die Bevölkerung jederzeit hinwegsetzen kann. Für Felber liegt das Demokratieverständnis der Politik bei Null. Nach dem Vortrag gibt es Standing Ovations. Das Audimax ist zum Bersten voll. Es folgen ausführliche Diskussionen und Redebeiträge. Abschließend schlägt Christian Felber vor, wie es mit dem Protest weitergehen kann und erklärt, dass er großes Potential darin sieht. (Transkript der Rede)

Das nächste Plenum findet gegen 20.30 Uhr statt. Mittlerweile ist eine deutliche Verbesserung bemerkbar, was die Organisation des selbigen betrifft. Trotzdem wird beschlossen vor jedem zukünftigen Plenum ein Treffen abzuhalten, bei dem das Organisationsteam gemeinsam mit den Arbeitsgruppen eine übersichtliche Struktur besprechen kann. Eines der Hauptthemen ist nach diesem Beschluss die möglicherweise bevorstehende Räumung des Audimax in der Nacht von Montag auf Dienstag. Die Arbeitsgruppe Rechtshilfe klärt darüber auf, welche Verhaltensweisen dabei möglich sind und mit welchen Folgen jeweils zu rechnen ist. Die Telefonnummer der Rechtshilfe-AG soll jeder bei sich tragen, um gegebenenfalls Unterstützung anzufordern.

6.Tag, 27.10., Dienstag

Die Nacht von Montag auf Dienstag

Diese Nacht wird von den Audimax-BesetzerInnen immer wieder als entscheidend für den Fortbestand der Besetzung gesehen. Hatte die Besetzung über das lange Wochenende wenig gestört, so besteht für die Nacht auf Dienstag die Gefahr einer polizeilichen Räumung, da an diesem Tag der Unibetrieb wieder los geht und für 08:00 im Audimax laut Vorlesungsverzeichnis die Einführungsvorlesung der JuristInnen auf dem Programm steht. Den BesetzerInnen ist bewusst, wie ausschlaggebend diese Nacht für die gesamte Protestaktion sein könnte und die Aufrufe, die Nacht im Audimax zu verbringen, zeigen ihre Wirkung. Der Saal bleibt bedeutend gefüllter als an den vorigen Tagen. Durch die Informationen der AG Rechtshilfe fühlen sich die StudentInnen gut auf eine mögliche Räumung vorbereitet und die Stimmung bei den Konzerten im Audimax ist heiter. Vor der Bühne, auf und zwischen den Sitzreihen wird ausgelassen getanzt, doch die Möglichkeit eines Polizeieinsatzes steht immer noch im Raum und verleiht dem Augenblick einen zugegebenermaßen seltsamen Touch. In den ersten Stunden des Dienstags beginnen Gerüchte um einen Wega-Einsatz, der zwischen drei und fünf Uhr morgens stattfinden soll, zu kursieren. Doch die StudentInnen lassen sich davon nicht einschüchtern und tanzen oder schlafen weiter. Man einigt sich auf gewaltlosen Widerstand im Falle des Falles. "So wie’s unsere Eltern damals in den Sechzigern gemacht haben: Auf den Boden und einhaken!", tönt es mehrmals von der Bühne. Doch der Einsatz bleibt aus. Mit jeder Minute, die der Tag älter wird, sinkt der Glaube an eine Räumung und ab 04:00 Uhr wird im Audimax ganz entspannt nur noch klassischer Musik gelauscht, worüber vorher eine Abstimmung getroffen wurde. Den BesetzerInnen ist die letzte Nacht mittlerweile schon anzusehen, doch die Volxküche hält sie mit Kaffee und Frühstück bei Laune. Mancherorts kursieren bereits die ersten Tageszeitungen und der Bericht der "Heute" wird sogar vom Podium aus verlesen. Dieser stellt die Protestbewegung, zur Verwunderung mancher Studis, positiv dar und lässt sich sogar über konservative Meinungen, die den Bierkonsum im Audimax verteufeln und über unsolidarische StudentInnen, die in der Besetzung nur die Behinderung ihres Studienfortschritts sehen, aus. Das Ausbleiben eines Polizeieinsatzes stimmt die BesetzerInnen allesamt euphorisch und die Hoffnung auf eine lang andauernde Besetzung und die Ausweitung des Protestes wird immer größer.

Nach einer HörerInnenversammlung um 15:00 blockieren die Studierenden der Internationalen Entwicklung vorübergehend den Hörsaal C1 - den zweitgrößten Hörsaal der Uni Wien. Sie fordern das Rektorat auf, eineN VertreterIn zu entsenden, um die IE-internen Forderungen abzuholen. Gegen 19:00 Uhr erscheint Vizerektorin Schnabl und ein Kollege, um die Forderungen entgegen zu nehmen und mit den Studierenden zu diskutierten. Der Hörsaal wird daraufhin von allen Studierenden - wie angekündigt - wieder geräumt; weitere Aktionen, speziell im Falle von nicht umgesetzten Forderungen, aber für die (nähere) Zukunft angekündigt.

7.Tag, 28.10., Mittwoch

Besetzungsversuch Juridicum

Da der Protest bzw. das Verständnis für die Audimax-BesetzerInnen und ihre Forderungen an der Fakultät für Rechtswissenschaften eher verhalten ausfällt, wird während der Abschlusskundgebungen der Großdemo die Idee geboren, auf der Stelle das Juridicum zu besetzen. Nachdem es zweimal einen Aufruf gibt, sich dieser Besetzung anzuschließen, finden sich allmählich doch um die hundert Leute in der Aula des Juridicums ein. Auf die anfängliche Euphorie über eine weitere Besetzung folgt eine hitzige, stellenweise sogar stammtisch-artige, Diskussion, darüber, ob das Juridicum überhaupt jetzt besetzt werden soll oder nicht. Mitglieder der Arbeitsgruppe Juridicum – die sich am Vortag dem Plenum vorgestellt haben und deren Ziel es ist, den Protest ins Juridicum zu tragen - sind der Meinung für eine Besetzung sei es noch zu früh, da sich der Protest bei den JuristInnen derzeit auf wenig Sympathien stützt und für mögliche Aktionen, wie Besetzungen, vorab Aufklärungsarbeit betrieben werden muss. Unter den vorläufigen BesetzerInnen befinden sich auch viele Nicht-JusstudentInnen und man fürchtet, dass diese zwar momentan Interesse an einer Besetzung hätten, sich jedoch in den nächsten Tagen verdünnisieren würden und eine handvoll JuristInnen übrig bliebe, die aufgrund ihrer zahlenmäßigen Schwäche die Besetzung nicht würden halten können. "Der Protest muss von innen kommen", meinen die Mitglieder der AG Juridicum. "Die JuristInnen müssen davon überzeugt werden, dass das, was zwei Gehminuten von ihnen entfernt passiert, dass dieser Protest auch sie betrifft." Würde das Juridicum von StudentInnen besetzt, die nicht am Juridicum studieren, würden Jus-StudentInnen möglicherweise den Eindruck haben, es handle sich um eine "Invasion von Außen" oder eine "feindliche Übernahme". Auch mit der Fakultätsvertretung des Juridicums, die von der Aktionsgemeinschaft gestellt wird, wird seitens der Arbeitsgruppe Juridicum schon debattiert. Die Fakultätsvertretung zeigt sich laut Angaben der Arbeitsgruppe kooperativ und würde auch ihre anfängliche Stellungnahme zu den Protesten, in der sie die Audimax-Besetzung nicht gutheißen, revidieren.

Die Gegenargumente bringen zum Großteil StudentInnen ein, die nicht am Juridicum studieren. Ihre Meinung ist, dass die Dynamik des Moments, die Dynamik, die während der Demo entstanden ist, nicht übersehen werden dürfe, sondern, dass sie ausgenutzt werden müsse, um eine gelungene Besetzung zu ermöglichen. Diese Meinung wird dann nochmals auf der Bühne der Abschlusskundgebung verlautbart. „Die JuristInnen wollen den Protest an sich reißen und glauben das Juridicum gehört nur ihnen“, heißt es dort.

Der Hörsaal U 10 wird dann tatsächlich noch besetzt, jedoch hält dies nicht bis zum nächsten Morgen an.

9.Tag, 30.10., Freitag

Um 16 Uhr wird im Audimax die Solidaritätserklärung der Grünen verlesen. Sie ist eigenhändig unterschrieben von Eva Glawischnig, die u.a. auch anbietet ins Audimax zu kommen und die Protestierenden zu unterstützen.

Erstes Thema des abendlichen Plenums sind die 34 Millionen Euro, die Minister Hahn den Hochschulen zukommen lassen will. Die AG Presse verliest eine Presseaussendung, die im Großen und Ganzen aussagt, dieses Geld sei ein „Tropfen auf dem heißen Stein“ und kein Grund, die Proteste zu beenden. Über den Inhalt des Textes wird abgestimmt. Mehrheitlich ist das Plenum damit einverstanden. Anschließend wird von einer Arbeitsgruppe der Vorschlag gebracht, am Donnerstag, den 5. November einen bundesweiten Aktionstag zu organisieren. Dabei sollen nicht nur eine Demonstration, sondern den ganzen Tag über verschiedene Aktionen und Workshops stattfinden. Wie alle wichtigen Anliegen wird auch dieser Vorschlag abgestimmt und mehrheitlich bejaht. Aus dem Wiener Gemeinderat sind 2 GemeinderätInnen anwesend, die sich mit der Besetzung solidarisieren und den Antrag verlesen, den sie an die Wiener Stadtregierung gestellt haben. Auch der Antrag, der als Reaktion darauf von der ÖVP eingebracht wurde, wird von den GemeinderätInnen vorgelesen und erntet Buhrufe. Die ÖVP spricht darin von einer „bedenklichen Entwicklung“, an der „einige“ Studierende teilnehmen und sich gegen Andersdenkende wenden – von Sachbeschädigungen und Sexismus ist im Text auch die Rede.

In der Diskussionsrunde meint ein Student, er habe Angst, dass 1-2 Forderungen des Kataloges von der Politik erfüllt werden und daraufhin 90% der Protestierenden abziehen. Ganz allgemein macht sich eine etwas ängstliche Stimmung bemerkbar. Der Applaus ist nicht mehr so euphorisch wie in den ersten Tagen und die Diskussionen drehen sich immer häufiger darum, was in der nahen oder fernen Zukunft passieren soll. Deshalb wird auch lange darüber gesprochen, ob Bahnhöfe und Autobahnen am Aktionstag besetzt werden sollen. Einige sind der Meinung, die BesetzerInnen sollten Mut zur Konfrontation haben, andere wiederum wollen keine Antipathie in der Bevölkerung wecken. Bessere Laune bekommen die TeilnehmerInnen des Plenums als in einer Wortmeldung festgestellt wird, dass die Proteste nicht nur eine bildungs-, sondern auch eine gesellschaftspolitische Debatte lostreten.

10.Tag, 31.10., Samstag

Bildungsball zu Halloween

Am Samstag ist wieder ein interessantes Programm geplant. Um 17 Uhr kommt Falter-Chefredakteur Armin Thurnherr zu einem Gespräch ins Audimax. Bevor aber wirklich mit ihm diskutiert wird, hält der Journalist einen Vortrag, in welchem er die Besetzung unterstützt, darauf hinweist, dass die Protestbewegung bereits eine Bildungsdebatte im ganzen Land ausgelöst hat und von seinen Erfahrung mit Besetzung und Widerstand erzählt. Erst nach seinem Vortrag kommt es zu einer Diskussion mit den Studierenden, die allerdings aufgrund des gedrängten Programms nicht allzu lang andauert. Thurnherrs Vortrag bekommt nicht nur Zustimmung. Zwar scheinen die ZuhörerInnen im Audimax mit seinen Ansichten im Großen und Ganzen einverstanden zu sein, auf der Homepage, wo ein Transkript seiner Rede zu finden ist, gibt es auch kritische Kommentare. So schreibt dort unter anderem einE UserIn, dass Armin Thurnherr die Verschulung der Hochschulen unterstützt, indem er beim Falter nur AbsolventInnen der FH für Journalismus einstellt.

Ute Bock for president

Von jeglicher Kritik ausgenommen, ist die Arbeit von Ute Bock, die an diesem Tag das Audimax besucht. Als sie um 19 Uhr auf der Bühne erscheint, tobt der Saal und es gibt Standing Ovations. Der Film „Bock for president“ feiert seine Weltpremiere. Damit bekundet die Viennale, die sich zu diesem Orts- und Terminwechsel für die Uraufführung entschieden hat, ihre Solidarität mit den Studierendenprotesten. Der Film wird begeistert aufgenommen, wobei der Applaus danach, mehr den außergewöhnlichen Leistungen Ute Bocks als der Qualität des Films gilt (das bemerkt ganz treffend auch einer der beiden Regisseure, freut sich aber trotzdem oder gerade deswegen besonders über das gute Feedback). „Bock for president“ kommt im März 2010 in die österreichischen Kinos. Nach der Filmvorführung bleibt etwas Zeit zum Diskutieren – wie immer knapp bemessen, denn um 21 Uhr soll das Plenum beginnen. Alle RednerInnen verkünden ihre Begeisterung für Ute Bocks Arbeit und von einem Studenten wird sogar der Vorschlag gemacht, im Plenum darüber abzustimmen, Ute Bock zur „moralischen Königin des Audimax’“ zu erklären. Spendenboxen für den Verein Ute Bock, die sich stetig füllen, werden in den Reihen herumgereicht. Ute Bock selbst zeigt sich schüchtern. Sie redet nur wenig. Die Freude über die Zustimmung und Begeisterung ist ihr aber eindeutig anzumerken.

15.Tag, 05.11., Donnerstag

Bundesweiter Aktionstag