AG-EU protokoll 20091214

Aus Unibrennt Wiki (Archiv)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

AG Emanzipative Uni: Emanzipative_Uni


Protokoll zur Diskursveranstaltung der AG emanzipative Uni zum Thema: emanzipative Bildung, am 14.12.09, auf der TU-Wien im HS1.

Anwesende: Stefan Vater (SV), Erich Ribolits (ER), AG, DiskutantInnen (D), Kommentar (K).


Die AG begrüßt die Anwesenden und stellt sich selbst vor und die nächsten Projekte. Die Diskursveranstaltung wird als Raum der (freien) Diskussion und des Austausches von Wissen und Erfahrungen vorgestellt. Danach kommen die Anwesenden zu Wort.

SV: Stellt das Thema als konjunkturell dar. Derzeit ist es wider modern. Er war 96 beim Uni-Streik in Linz beteiligt. Er erzählt davon. Frage: wann wird Bildung emanzipativ? Emanzipation heißt neu erfinden . als Befreiung. Dies wird als Situation beschrieben, bei der der Boden der herrschenden Realität zum Einsturz gebracht wird. Dazu werden mehrere Bilder präsentiert: z.B. Mick Maus im Kampf gegen den Diktator der Bildung verbietet, usw. SV berichtet, dass die Besetzungen in Wien von der Le Monde als sanfte Revolte beschrieben wurden. Er empfielt das Buch „Neufassung des Bildungsbegriffes“, von Heydorn (1971) zur Lektüre.

Als konkrete Beispiele emanzipativer Bildung wurden folgende benannt: 1. Der Bildungsstreik 1996, als Ergebnis vorangegangener emanzipativer und selbstbestimmter Aktivitäten. Natürlich hatte es auch Probleme gegeben. 2. Die autonomen Projekttutorien wurden bezahlt und waren selbstgestaltet. Unter anderen wurde ein Tutorium zum Anarchismus an der Volxuni in Berlin abgehalten. 3. In einigen Studienrichtungen gibt es autonome Gruppen, die sich selbst organisieren. 4. Seit 1900 gibt es Arbeiterbildungsvereine. Sie wurden von den Nazis beseitigt. 5. Es gab alternative Schulprojekte: z.B. um 1900 die freie Schwarzwaldschule in Wien. 6. Um 1900 gab es in Wien auch einen anarchistischen Kindergarten in dem sich die Kinder ihre Kinderbücher selbst gestalteten. 7. Im spanischen Bürgerkrieg gab es die Mujeres Libres, eine Frauengruppe.

S.V. schießt mit einem kurzen Zitat von Foucault, wo emanzipative Bildung sinngemäß als Bildung zur Entunterwerfung definiert wird.

E.R. äußert sich skeptisch zum Begriff emanzipative Bildung. Er steht allen Anhängseln zur Bildung skeptisch gegenüber. Bildung ist entweder emanzipativ oder sie ist nicht Bildung. Emanzipation bezieht sich auf die Befreiung der Frauen (vom Patriarchat). Emanzipation auch als Selbstbefreiung von allem, das in nicht gewollte Bahnen zwingen will. Z.B. als Befreiung von der Natur. Aber wie von der Unterjochung unter die Natur befreien? Der Technik geht’s darum die Natur zu durchschauen, und (aus)zu nützen. Sollen wir uns von Naturzwängen befreien? Jede Befreiung zeitigt unterschiedliche Resultate (je nach Klassenstandpunkt). Derzeit gibt es die Unterschiede zwischen Gewinner und Verlierer.

Emanzipation kann aber auch bedeuten gesellschaftliche Ungleichheiten zu durchschauen und dagegen anzukämpfen. Die naturwissenschaftliche Befreiung hat positiven Ruf. Der Unterschied zwischen Gut und Böse bleibt aber bestehen. Was wäre Bildung versus Ausbildung? Diese Forderung (Bildung statt Ausbildung) wird von 70% der Studierenden geteilt. Bildung wird in der Gesellschaft als überflüssig, Ausbildung als funktional für die Arbeit gesehen. Bildung und Ausbildung unterscheiden sich in der Form des Erwerbs. Lernen hat unterschiedliche Aspekte. Das Potential, das hierbei mobilisiert wird ist in einer steten Bewegung zwischen Unterwerfung und Entunterwerfung hin und her geworfen. Auch Tiere lernen. Die Menschen gehen aber darüber hinaus. Sie schmieden Strategien der Veränderung und der Befreiung von den Umständen. Wir haben es immer mit zwei Aspekten zu tun. Es gibt nicht ein Lernen.

Wir sollten uns fragen um was es geht. Sollen wir nur funktionieren oder sollten wir uns auch weiterentwickeln, hinterfragen was wir brauchen usw..

D: Soll man bisherige Bildungskonzepte verneinen? Eine emanzipative Bildung muß konsequenterweise auch auf Abschlüsse verzichten. Wie kann man derzeitiges Studieren damit verbinden? Muß man darauf verzichten?

E.R.: Die Frage läuft darauf hinaus: gibt’s das Gute im Schlechten? Solange es fixe Klassen (sind wohl soziale Klassen gemeint) auf der Uni gibt ist dies keine Frage. Die Uni ist äußerst selektiv. Es gibt mehr Oberschichten als untere. Derzeit kann von Massenuni keine Rede sein. Es sind nur 18% der jungen Menschen auf der Uni. Bei einer Massenuni wäre die Verwertbarkeit des Studiums nicht mehr stimmig, aber auch andere Möglichkeiten würden sich eröffnen. Aber dies braucht seine Zeit (Umwege, freie Zeitverfügung, herrschaftsfreier Dialog etc. wären möglich). Nötig dazu wären aber mehr Geld und Lehrangebote, um der Verschulung entgegenzuwirken. Genau das passiert heute aber nicht. Habe den Eindruck, dass die Protestbewegung auf eine funktionale Uni aus ist.

S.V.: Wichtig ist der zeitliche Aspekt. Je kürzer die zur Verfügung stehende Zeit, desto schwieriger werden emanzipative Aspekte.

D: Das Problem ist, dass alles vorgegeben wird. Es besteht keine Möglichkeit eigenes zu gestalten. Es gibt eine dreistufige, fixe Gliederung. Vorher war das anders. Es wird den Meisten nicht bewußt, dass es auch anders gehen kann. Für Beteiligungen bleibt kein Platz. Der derzeitige Protest sagt: „Wir wollen das nicht.“

E.R: Ja, freie Menschen entstehen nur in freie Strukturen.

D: Freie Schulen sind bekannt. Die SchülerInnen aus diesen Strukturen sind sehr gut unterwegs.

E.R: Freie Schulen zeigen engagiertere Menschen und haben höhere Erfolgsquoten. Die traditionellen Schulen produzieren 18% Analphabeten (nach 9 Schuljahren). Da stimmt doch was nicht. Die vermitteln nicht einmal Basisqualifikationen wie Lesen und Schreiben. Da passiert aber gar nichts. Dieses Schulsystem existiert weiter. Früher waren auch die Unis etwas freier. Heute wird das Denken in Bahnen gelenkt.

D: Es ist offensichtlich, dass Bildung in freien Strukturen besser ist. Wieso wird das dann nicht praktiziert?

S.V: Wozu gibt’s ein Schulsystem? Zur Systemstabilisierung. Alle brauchen ja nicht lesen zu lernen. Das hängt von ihrer späteren Verwendung ab. Die Schule funktioniert als Selektionsinstrument. Die Funktion der Schule ist es diese Selektion zu erlernen und zu akzeptieren.

E.R: Bildung ist gefährlich. Das kann schon ein harmloser Protest sein. Die BesetzerInnen kommen gut an und bemühen sich auch darum. Trotzdem wird diffamiert. Im Standard sind die Kommentare der LeserInnen voller Geifer gegen die BesetzerInnen. Die Strukturen der Uni sind nicht mehr dem Leben dienlich – nur noch dem Verwertungszusammenhang. Ein ineffizientes Bildungssystem soll nicht zu denken anregen. Auch in der Schule soll Denken vermieden werden.

D: Beim Treffen mit dem Ministerium war als Thema die Konkurrenzfähigkeit der Uni prolongiert. Wie da eine andere Richtung einschlagen? Und welche Konsequenzen kann das haben?

S.V: Bildung gibt’s nur über Veränderungen. Da gibt’s keinen Optimismus auf die ganze Gesellschaft bezogen. Die Streikbewegung (96) schafft eine breite Diskussion über Bildung. Übrig blieb die Streikzeit, die Netzwerke, die Erfahrungen. Das ist schon sehr positiv.

E.R: Es gibt Versuche der Vereinnahmung der Bewegung. Es gibt Versuche die Bewegung abzudrehen. Wir sollten aber trotzdem hineingehen und alle Chancen nützen. Dadurch wird es aber kein gesellschaftliches Erwachen geben. Aber es war kaum zu glauben, dass es eine so breite Bewegung geben wird. Das hat vorher niemand angenommen. Die ist wie aus heiterem Himmel gekommen. Die gesamte Gesellschaft ist mit Unbehagen gefüllt. Alle meinen, da geht was in die falsche Richtung, die Dinge entwickeln sich falsch. Nur noch Profit und Mehrwert. Da geht was verloren. Die Studierenden, noch als Elite haben da als Erste reagiert. Das ist sehr wichtig. Es entsteht ein Diskurs zu Bildungsfragen, zu Fragen um die weitere Verwertbarkeit von Bildung. Das ist ein wichtiger Meilenstein.

D: Welche Veränderungsanforderungen gibt’s in der Gesellschaft? Ich sehe die Familie im Fordergrund. Es gibt den Konsens, dass Effizienz nicht das Wichtigste ist. Wie wird die Familie mit der Bildung verknüpft?

D: Wie kann die zukünftige Uni aussehen? Autonom (nicht das was sich jetzt so nennt), Gleichberechtigung zwischen Lehrenden und SchülerInnen. Nicht mehr einmalige Bildung, sondern lebenslange?

S.V: Gesellschaftlichen Werte die im Neoliberalismus nicht verwertet werden können werden ausgeschlossen. Es wären jene Bereiche, die den Druck von den Betroffenen nehmen können wichtig. Die uni bietet die Möglichkeit der Weiterbildung. Es gibt auch viele PensionistInnen auf der Uni. Die Uni ist auch Ort von Wissensproduktion aber auch von Selektion. Der zunehmende Streß ist wichtig für die Selektion.

E.R: Früher waren Lehrende und Studierende per Du. Es war der Versuch so zu tun, als ob sie auf der gleichen Stufen stehen würden. Heute gibt’s hauptsächlich Lehrveranstaltungen im Frontalbetrieb (die Zahl der Vorlesungen nimmt zu). Derzeit gibt es in den neuen Studienplänen eine 40Std/Woche. Dies ist im Bolognaprozeß vorgesehen. Derzeit sind 60% der Studierenden Nebenberufler. Es gibt keine Arbeitsgruppen und Lesekreise mehr. Zeitliche Strukturen, die eigene Gedanken erlauben würden sind nicht mehr vorhanden. Ich habe auch eine HTL besucht. Die AbsolventInnen sind die am besten funktionierenden. In der HTL gibt’s bis zu 60Std/Wochen. Da ist kein Platz mehr für andere Sachen. Bei solcher Sozialisation funktioniert man brav. Dies ist aber Teil des Unbehagens. Es ist keine Zeit mehr für andere Bedürfnisse. Die Sehnsucht danach läßt sich aber nicht ausrotten. Der Wunsch nach Selbstbestimmung lebt weiter. Es ist aber nicht einfach dorthin zu gelangen. Lebenslanges Lernen heißt lebenslanges update für den Arbeitsmarkt. Dafür ist die Sehnsucht nach Selbstbestimmung natürlich disfunktional. Bei der Jugend ist da aber noch Hoffnung nach Änderung.

D: Ist die Politik der Agent der Stagnation? Sind Veränderungen nur außerhalb möglich?

E.R: Die politischen Gruppen (wie der VSSTÖ) stehen ganz am Rand der aktuellen Bewegung. Der VSSTÖ kommt, trotz Versuchen nicht hinein. Bei denen besteht völliges Unverständnis über die Situation. Die aktuellen Chancen der Veränderung laufen nicht über die Parteien, sondern über die Bewegungen. Diese beginnen sich nun um die eigenen Interessen zu kümmern. Das mach die derzeitige Bewegung so wichtig. Die ÖH steht den anderen Forderungen (der Sehnsucht und dem Unmut) mit Unverständnis gegenüber. Dies ist für die keine politische Kategorie.

D: Es gibt die dumpfen Gefühle des Alleingelassenwerdens. Hier nimmt das Internet eine wichtige Stellung ein.

E.R: Das Internet produziert Chancen. Wert wäre ja ausreichend vorhanden. Bloß das Geld ist sehr relativ.

S.V: Für die Banken (die Kärntner) gibt’s jetzt unglaubliche 4,3 Milliarden €, eine unglaubliche Summe. Für die Unis gibt’s 34 Millionen €.

D: Es gibt einen Konflikt zwischen Offenheit und Herrschaft. Das Internet ist wichtig bezüglich freier Zugänge. Dadurch kann das Wissensmonopol aufgebrochen werden.

E.R: Die technische Entwicklung verunmögliche den Handel mit Wissen. Das funktioniert nicht richtig, denn alles was technisch entwickelt wird, kann auch plaziert werden. Die Uni sollte wärmer werden. Auf der Uni Wien sind in den Vorlesungen auch Obdachlose, die sich dort aufwärmen. Sobald sie mitreden passiert eine Öffnung. Die Uni sollte als öffentlicher Raum funktionieren. Es sollten auch Leute von draußen einbezogen werden. Das wäre sehr bereichernd.

S.V: Die Uni braucht Mitbestimmung. Mitbestimmung als zentrales Element ist auch in der politischen Auseinandersetzung möglich.

E.R: In den 70ern wurde Demokratisiert. Das wurde von Gehrer und Co. alles wieder zurückgenommen – neben anderen Sachen.

D: Die Verantwortung ist ein großer Punkt. Wo keine Verantwortung über das eigene Leben ist, wird die Angst zur großen Bremse für Veränderungen.

ENDE


AG Emanzipative Uni: Emanzipative_Uni